Falsche Prognose

29.10.2015

Warum wir beim Ster­be­al­ter oft dane­ben­lie­gen

Die Deutschen unterschätzen ihre Lebenserwartung – im Schnitt um sieben Jahre. Die fehlende Treffsicherheit hat ihre Gründe.

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Ein hohes Alter ein recht neues Phänomen. Erst im Verlauf des 20. Jahrhundert stieg das Lebensalter rasant an. 

Wenn die Deutschen einen Tipp für ihr wahrscheinliches Sterbealter abgeben müssen, liegen sie ziemlich daneben. In einer Studie des Munich Center for the Economics of Aging (MEA) aus dem Jahr 2012 schätzten die befragten Männer ihre Lebenserwartung im Schnitt auf 75,8 Jahre, die Frauen auf 80,3 Jahre. Die durchschnittliche Lebenserwartung für die Personen in der Studie lag nach Daten des Statistischen Bundesamts jedoch bei 82,2 beziehungsweise 87,4 Jahren. Beide Geschlechter unterschätzen somit ihre Lebenserwartung um annähernd sieben Jahre.

Im Schnitt sieben Jahre beträgt die Differenz zwischen der geschätzten und der tatsächlichen Lebenserwartung der Deutschen.

Mit ihrer mangelnden Treffsicherheit sind die Deutschen nicht allein. Auch eine im Oktober 2015 veröffentlichte Studie der University of California in San Francisco zeigt, dass es Menschen schwer fällt, ihre statistische Lebensdauer richtig einzuschätzen. Rund jeder dritte Befragte hat demnach mehr Jahre vor sich, als er selbst glaubt. Untersuchungen zeigen auch für die europäischen Nachbarstaaten, dass die Menschen ihre Lebenserwartung regelmäßig unterschätzen.

Wahrnehmung hinkt der Realität hinterher

Überraschend sind die Ergebnisse nicht: Denn zum einen ist ein hohes Alter ein recht neues Phänomen. Noch Ende des 19. Jahrhunderts betrug die Lebenserwartung in Deutschland für neu geborene Jungen gerade einmal 45 Jahre, Mädchen konnten 50 Jahre erwarten. Erst im Verlauf des 20. Jahrhundert stieg das Lebensalter rasant an. Die Selbstwahrnehmung hängt der aktuellen Entwicklung somit noch hinterher.

Wenn Menschen ihre Lebenserwartung schätzen, orientieren sie sich fälschlicherweise an den Lebensdaten ihrer Vorfahren.

Zudem neigen die Menschen dazu, ihre Lebenserwartung anhand des Sterbealters von Verwandten abzuschätzen. „Wenn man über die eigene Lebenserwartung nachdenkt, hat man vermutlich oft die Lebensdauer von Menschen der Generation der eigenen Eltern und Großeltern im Hinterkopf“, sagt Professor Jochen Ruß, Geschäftsführer des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften. Doch der Bezug führt in die Irre, er gleicht einem Blick in die Vergangenheit. In den Biografien jeder Generation spiegeln sich die jeweiligen Lebensbedingungen.

Lebenserwartung steigt weiter an

Medizinischer Fortschritt und steigender Wohlstand führen jedoch dazu, dass die Menschen immer älter werden. „Pro Jahrzehnt gewinnen wir rund 2,5 Jahre an Lebenszeit hinzu“, sagt Ruß. Jede Generation lebt somit rund 7,5 Jahre länger als die vorherige. Eine erfreuliche Entwicklung, die es den meisten Menschen auch künftig nicht leicht macht, ihr Sterbealter richtig einzuschätzen. „Die Lebenserwartung steigt schneller, als die meisten Leute denken“, betont Ruß.