Mythen des Alters

07.10.2016

„Die stri­ckende Oma muss aus den Köp­fen ver­schwin­den“

Unser Bild von Älteren ist geprägt von Klischees, sagt Medizinjournalist Michael Prang. Mit der oft zitierten Engstirnigkeit oder Unzufriedenheit habe es nicht viel auf sich.

Herr Prang, Sie haben die 77 größten Irrtümer übers Älterwerden gesammelt. Welches Bild, das wir vom Alter haben, stimmt denn gar nicht?

MICHAEL PRANG: Dass alte Menschen ständig mürrisch sind, entspricht schlicht nicht der Realität. Im Rahmen einer Studie wurden Männer und Frauen über 90 Jahre zu ihrer Lebensqualität befragt. Über acht von zehn gaben dabei an, immer noch das Beste aus ihrem Leben machen zu wollen. Über zwei Drittel fanden im stolzen Alter von Hundert noch einen Sinn im Leben. Auch eine britische Studie bestätigt das: Forscher haben herausgefunden, dass das Glück im Laufe des Lebens einer U-Kurve folgt – und die Menschen im Alter mindestens so glücklich sind wie in der Jugend.

Was hat Sie persönlich besonders überrascht bei der Recherche für Ihr Buch?

PRANG: Ich hatte gedacht, dass Senioren Sportmuffel sind. Das ist aber falsch: Eine Studie des Allensbach-Instituts hat ergeben: Ein Fünftel der Rentner macht häufig Sport, ein Fünftel gelegentlich und ein Fünftel immerhin ab und zu. Nur zwei Fünftel machen gar keinen Sport im Alter.

Sie schreiben, dass Sex keine Rolle mehr spielt, sei auch ein Irrtum.

PRANG: Ja, wissenschaftliche Untersuchungen räumen auch mit diesem Klischee auf. Sex findet im Alter weiterhin statt – nicht zwingend weniger, aber anders. Ältere verfolgen zum Beispiel keinen Rekordsex, sondern konzentrieren sich eher auf das gemeinsame Erleben und Kuscheln.

Woran liegt es, dass wir einen so falschen Eindruck vom Älterwerden haben?

PRANG: Das sind Klischees, die sich erst über eine weitere Generation hinweg auflösen werden. Wir haben veraltete Muster vom Älterwerden abgespeichert – das Bild der strickenden Oma beispielweise muss erst aus den Köpfen verschwinden. Älterwerdende Menschen machen selbst die Erfahrung, dass ihre Vorurteile nicht stimmen. Mit 60, 70, 80 oder noch älter merken sie: Ich kann durchaus noch geistig-schöpferisch oder sportlich tätig sein.

Worauf können wir uns mit Blick aufs Älterwerden freuen?

PRANG: Wir können uns auf deutlich mehr Freiheit freuen. Denn dann können wir das tun, was wir schon immer tun wollten. Und wir haben Zeit für das, was im Leben wirklich wichtig ist: Freunde, Familie, Partner. Außerdem ist der Druck weg, man muss keine Karriere mehr machen. Aber ich möchte nicht verschweigen: Es sieht natürlich nicht für jeden Menschen im Alter alles rosig aus. Die moderne Medizin kann jedoch in vielen Fällen dafür sorgen, dass trotz Krankheit die Lebensqualität lang erhalten bleibt.

Sie schreiben, man ist niemals zu alt für Rock’n’Roll und nennen Mick Jagger. Ist der Sänger der Rolling Stones denn noch ein gutes Beispiel für einen fitten über 70-Jährigen – oder ist das schon Jugendwahn?

PRANG: Es ist weder Jugend noch Wahn. Ich finde, Mick Jagger ist ein gutes Beispiel dafür, dass man im Alter fit sein kann. Ich habe ihn bei einem Konzert aus nächster Nähe gesehen und war sehr beeindruckt von seiner hohen Konzentration und Fitness. In diesem Maße hätte ich das nicht erwartet.

Wann ist der richtige Moment, um in Rente zu gehen?

PRANG: Das muss jeder selbst wissen. Ich bin Freiberufler und kann hoffentlich auch noch mit 90 oder 100 ein wenig arbeiten. Diejenigen, die beispielsweise in einer Fabrik oder im Straßenbau arbeiten oder einem sehr stressigen Job nachgehen, möchten wahrscheinlich schon möglichst früh ihre freie Zeit genießen