Selbstwahrnehmung

02.07.2018

Warum man sich mit 60 end­lich schön fühlt

Die einfache Gleichung „alt = hässlich“ stimmt so heute nicht mehr – Wissenschaftler haben Schönheitspotenziale entdeckt, die sich erst im Alter entfalten.

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Geschafft: Wer in der zweiten Hälfte des Lebens angekommen ist, kann seine Schönheit voll entfalten. 

Eine neue Falte rahmt die Mundwinkel, der graue Haaransatz schimmert unermüdlich durch. Geheimratsecken bahnen sich ihren Weg durch das einst so volle Haar: Wenn wir älter werden, verändert sich unser Körper. Mit jeder weiteren Kerze auf dem Kuchen verschwindet die natürliche Jugendlichkeit ein Stückchen mehr, nehmen Spannkraft ab und die Folgen der Schwerkraft zu.

Der Blick in den Spiegel ist unmittelbar verbunden mit der Frage: Bin ich noch schön? Denn Attraktivität ist doch untrennbar mit dem Jungsein verbunden – so zumindest lautet die landläufige Meinung.

Erscheinungsbild erzeugt die Attraktivität

Vor allem Frauen scheinen mit dem vermeintlichen Verlust der Schönheit zu hadern. „Während bei Frauen das Altern als hässlich wahrgenommen wird, gilt es bei Männern zunächst als attraktivitätsfördernd“, sagt Frieder Lang, Gerontopsychologe an der Universität Erlangen. Dass graue Schläfen bei Männern durchaus als sexy, bei Frauen aber als Makel angesehen werden, nennt die Wissenschaft „Double Standard of Aging“ – doppelte Bewertung des Alterns.

Lang widerspricht allerdings der These, dass alle Frauen damit ein echtes Problem haben. Vielmehr beugen sich immer weniger dem Phänomen und stellen dem Jugendwahn stattdessen selbstbewusst ein neues Schönheitsideal entgegen. „Attraktivität wird nicht mehr nur an einem möglichst jugendlichen Aussehen gemessen, sondern an der Gepflegtheit der äußeren Erscheinung“, so der Psychologe.

Aus Schönheitsdruck wird Authentizität

Die Maßstäbe verschieben sich ab einem gewissen Alter. Schönheit wird zunehmend über Aspekte wie Stil und Pflege definiert. Und noch mehr: Für viele ist das älter werden sogar eine Befreiung. Der Druck der jungen Jahre – für potenzielle Partner möglichst attraktiv zu sein und eine Familie zu gründen – nimmt ab und macht Platz für eine entspannte Sicht auf den eigenen Körper. Dies gilt vor allem für Frauen, die früher nicht unbedingt dem gängigen Schönheitsideal entsprochen haben. „Wir wissen aus zahlreichen Studien: Wer mit 20 oder 30 mit dem eigenen Aussehen unzufrieden war, kann sich mit 50 oder 60 dann auf einmal doch sehr attraktiv fühlen“, erklärt Psychologe Lang.

Diese neue Gelassenheit bestätigt auch eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Initiative „7 Jahre länger leben“. Demnach sind 87 Prozent der ab 60-Jährigen zufrieden mit ihrem Aussehen – und damit nur acht Prozent weniger als die Generation der 18- bis 29-Jährigen. Eine positive Sicht auf das eigene Äußere ist also nicht unbedingt eine Frage des Alters. Genauso wenig wie eine des Geschlechts: 91 Prozent der Männer und 88 Prozent der Frauen gaben an, mit ihrem Äußeren im Reinen zu sein.

Ästhetische Korrekturen sind kein Thema

Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass eine Schönheitsoperation für die meisten Befragten kein Thema ist. Neun von zehn lehnen sie ab, selbst wenn das Geld dafür vorhanden wäre. Auffällig dabei: Je älter die Befragten, desto geringer ist der Wunsch nach einem straffem Bauch und wohlgeformten Brüsten. Während sich 15 Prozent der 18- bis 20-Jährigen dies vorstellen können, sind es bei den ab 60-Jährigen lediglich vier Prozent.

Demzufolge ist die Klientel der Schönheitschirurgen auch verhältnismäßig jung: Laut Deutscher Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) ist gut die Hälfte der Personen, die absaugen, aufpolstern oder korrigieren lässt, zwischen 18 und 40 Jahre alt.

Schönheit ist so viel mehr als null Falten

Falten hin oder her – letztendlich ist Attraktivität auch Einstellungssache. Das findet sogar Riccardo Giunta, Chefarzt für Plastische Chirurgie am Klinikum der Universität München: „Ein alter Mensch kann sehr schön sein, auch wenn er viele Falten hat.“ Zumal auch die modernste Medizin aus einer 70-Jährigen niemals eine 20-Jährige machen könne. Muss sie auch nicht, denn schließlich definiert einen „schönen Menschen“ nicht nur sein Äußeres, seine glatte Haut oder knackigen vier Buchstaben. Ausstrahlung, Charakter, Humor und die Fähigkeit, sich im Inneren sein 20-jähriges Ich zu bewahren – das können weder Hyaloroncremes noch Botoxbehandlungen beeinflussen.