Aufschieberitis

27.03.2017

„Set­zen Sie sich eine Frist!“

Wie wir im Alter leben, entscheidet sich schon früh. Manch einem fällt es jedoch schwer, rechtzeitig vorzusorgen. Psychologin Margarita Engberding weiß, wie sich der innere Schweinehund überwinden lässt.

Frau Engberding, aus der aktuellen Studie „Rentner von morgen“ geht hervor:  Die Deutschen im Alter zwischen 40 und 55 Jahren wissen, dass sie sich aufs Alter vorbereiten müssten. Aber sie tun wenig. Wie kommt das?

MARGARITA ENGBERDING: Das ist das weitverbreitete Phänomen der Prokrastination –  das extreme Aufschieben von Aufgaben, von denen wir eigentlich wissen, dass sie sehr wichtig sind. Der Grund dafür ist allzu menschlich. Wir müssen uns dafür in der Gegenwart anstrengen oder auf etwas verzichten ­– und das zahlt sich nicht gleich spürbar aus, sondern erst in der Zukunft. Bei der Vorsorge fürs Alter sind die Menschen sogar besonders anfällig für Aufschieberitis.

Wieso?

ENGBERDING: Wenn er seinen Ruhestand plant, stehen dem Menschen mindestens drei Hürden im Weg. Erstens: Ein zukunftsorientiertes Handeln erfordert generell eine große Portion Selbstkontrolle. Zweitens: Die ernsthafte Beschäftigung mit dem Alter erzeugt bei vielen Unbehagen. Die auf lange Sicht damit verbundenen Belastungen und Einbußen sind einfach ein unangenehmes Thema. Und drittens gibt es bei der Ruhestandsplanung keine Frist oder Deadline, die das Aufschieben unmöglich machen würde.

Aus der Studie geht hervor, dass das Glück im Alter hauptsächlich an drei Faktoren hängt: an der Gesundheit, der finanziellen Situation sowie an einem erfüllten Sozialleben. Warum fällt uns die Vorsorge, die Vorbereitung, bei diesen Themen so schwer?

ENGBERDING: Bei finanzieller Vorsorge schreckt die Menschen ab, dass die Materie so komplex ist. Sie sehen sich mit ihrem eigenen Unwissen konfrontiert. In puncto Gesundheitsvorsorge stehen jene, die ohnehin eher ungesund leben und etwa keinen Sport treiben, vor höheren Hürden. Sie haben Angst, zu scheitern, sich die Blöße zu geben. Beim Thema Freunde machen gerade in der Rush-Hour des Lebens viele Menschen Abstriche, weil sie durch Beruf und Familie einfach nicht genügend Zeit haben. Wenn jedoch dadurch familiäre Strukturen zerbrechen sollten, stehen sie später allein da.

Wie kann man den inneren Schweinehund austricksen?

ENGBERDING: Vor allem konkrete Ziele und feste Verpflichtungen sind wichtig. Auch die soziale Kontrolle einer Gruppe hilft und motiviert, die Vorsätze umzusetzen. Wer zum Beispiel etwas für seinen Körper tun will: Schließen Sie sich einem Sportverein an! Andere Vereinsmitglieder werden Sie fragen, warum sie nicht zum Training gekommen sind. Wer sich vornimmt, zweimal pro Woche allein walken zu gehen, findet leicht Gründe, warum es erst nächsten Monat so richtig losgehen soll. Oder: Setzen Sie sich eine unausweichliche Frist: Das kann zum Beispiel ein Wanderausflug sein, für den Sie sich anmelden. Erfinden Sie sich selbst eine Deadline.

Und beim Thema Finanzen?

ENGBERDING: Versuchen Sie die Scheu vor dem Thema abzubauen, auch wenn Sie nur ein begrenztes Budget haben. Suchen Sie sich einen kompetenten Berater, der Ihnen alles verständlich macht. Auch Verbraucherschutz-Berichte können helfen. Schaffen Sie dann am besten Automatismen: Feste Sparpläne und langlaufende Versicherungsverträge helfen durchzuhalten.

Was kann die Politik oder die Gesellschaft tun, damit die Menschen die Hürden in puncto Altersplanung überwinden?

ENGBERDING: Entscheidend ist oft ein niederschwelliger Zugang zu Angeboten: Das gilt für den Sportverein genauso wie für soziale Treffpunkte oder die Altersvorsorge. Beim Thema Finanzen könnte ich mir zum Beispiel ein jährliches Schreiben vorstellen – ähnlich der Renteninformation – mit der Information, wie viel teurer das Schließen meiner Rentenlücke wird, wenn ich meine Altersvorsorge um fünf oder zehn Jahre aufschiebe. Da spüren die Menschen auch eine Deadline und bekommen Lust auf ein „Schnäppchen“.