Gescheiterte Langzeitehen

13.12.2019

Warum sich immer mehr Paare ab 50 tren­nen

Noch nie hat es so viele Langzeitehen gegeben, die geschieden werden. Auch weil wir immer länger leben – und die Liebe da offenbar manchmal nicht mitkommt.

© Deagreez / Getty Images

Einander nicht mehr viel zu sagen: Kommunikationsprobleme sind oft der Anfang vom Ende. 

„Iris Berben trennt sich nach 32 Jahren!“ „Ehe-Aus bei den Gottschalks: Nach 43 Jahren!“ Schlagzeilen wie diese sind seit einiger Zeit immer häufiger in der Klatschpresse zu lesen. Dass jahrzehntelange Beziehungen in die Brüche gehen, das gibt es allerdings nicht nur in der Welt der Promis. Es ist vielmehr ein allgemeiner Trend in Deutschland, dass die Scheidungen im späteren Alter zunehmen.

So hat sich laut Statistischem Bundesamt die Zahl der Scheidungen nach der Silberhochzeit zwischen 1992 und 2017 nahezu verdoppelt. Waren es Anfang der 1990er-Jahre noch rund 14.000 geschiedene Langzeitehen jährlich, sind es heutzutage gut 27.000. Interessant dabei: Generell sinkt die Scheidungsrate, allein die späten Trennungen nehmen zu und machen mittlerweile schon jeden sechsten Scheidungsfall aus. Das hat auch Einfluss auf das Scheidungsalter: Frisch getrennte Frauen und Männer sind heute im Durchschnitt 44 und 47 Jahren alt – und damit jeweils acht Jahre älter als noch 1992.

Scheidung ist kein Makel mehr

Dass nicht nur der Tod, sondern vermehrt der Richter langjährige Ehen scheidet, kann auch Felix Löckle bestätigen. „Mitte 50 bis 60 – das ist eine Klientel, die mir in den letzten 20 Jahren immer öfter begegnet“, sagt der Anwalt für Familienrecht mit Sitz in Hanau. Viele machen in diesem Alter eine Bestandsaufnahme ihres Lebens und fragen sich: Soll es das gewesen sein? Zudem erleichtert der gesellschaftliche Wandel, der mit einer größeren Akzeptanz von Scheidungen und einem sinkenden Stellenwert der Ehe einhergeht,  die Trennung. „Scheidung ist kein sozialer Makel mehr. Noch vor ein paar Jahrzehnten wäre man für den guten Ruf bis zum bitteren Ende zusammengeblieben – heute sind auch viele Ältere dazu nicht mehr bereit“, sagt Löckle.

Kommen Männer zu ihm, ist meist eine neue Liebe im Spiel. Bei Frauen geht es vor allem um den Wunsch nach Freiheit und einem aktiven Leben mit einem Partner, der mehr ist als nur ein Versorger. Dennoch warnt der Anwalt: „Die finanziellen Folgen können einschneidend sein.“ Denn alles wird gemäß des Versorgungsausgleichs geteilt. Auch die Renten. Sind diese auf beiden Seiten nicht üppig, werden die Ex-Ehepartner schnell zum Sozialfall.

Auszug der Kinder wird für viele Paare zur Bewährungsprobe

Stephanie Katerle hilft dabei, den Weg zum Scheidungsanwalt vielleicht doch noch zu verhindern. „Der Auszug der Kinder und der Eintritt in den Ruhestand ist für viele Beziehungen eine Bewährungsprobe“, sagt die Paartherapeutin aus Paderborn. „Dann ist man wieder auf sich als Paar zurückgeworfen, hockt 24 Stunden am Tag aufeinander und merkt oft: Die gemeinsamen Perspektiven sind verloren gegangen, die Liebe hat Rost angesetzt.“

Typisch sei die Geschichte eines älteren Ehepaares, das kürzlich in ihrer Beratung war. Sie Mitte 60, er Anfang 70, über 40 Jahre verheiratet. „Sie wollte noch etwas erleben, wollte reisen und mit ihm anregende Gespräche über Filme und Politik führen. Er hingegen wollte seine Ruhe haben, auf der Couch sitzen und lesen und fiel aus allen Wolken, als er sich plötzlich ändern sollte.“

Die Lebenserwartung steigt – und mit ihr die Ansprüche an das Leben im Alter

Dass solche Konflikte überhaupt entstehen können, habe auch etwas mit der steigenden Lebenserwartung zu tun, ist sich Scheidungsanwalt Löckle sicher. „Die Menschen sind gesünder und leben länger. Das verändert auch die Ansprüche, die man an das Leben im Alter hat.“ So haben 65-jährige Frauen heute noch rund 21 Lebensjahre vor sich; gleichaltrige Männer kommen auf fast 18 Jahre zusätzliche Jahre. Blieb früher im Ruhestand nicht mehr viel gemeinsame Zeit, ist dort heute ein vollkommen neuer Lebensabschnitt entstanden, der gefüllt und gestaltet werden will. „Viele stellen dann zu Recht fest: Das Leben ist zu lang, um unglücklich zu sein. Eine Wende lohnt sich noch“, so Katerle.

Damit diese Wende gemeinsam gelingt, sollte nicht erst im Alter mit der Beziehungsarbeit angefangen werden, rät die Therapeutin. Gift sei zum Beispiel, sich nur als Mutter und Vater zu definieren und sich dadurch als Partner aus den Augen zu verlieren. „Auch seine Person und Gewohnheiten sollte man immer mal wieder zu hinterfragen. Was brauche ich, damit es mir gut geht? Kann ich Dinge auch mal anders machen? Was bringt Abwechslung? Solche Fragen sind das beste Rezept, um flexibel zu bleiben und nicht langweilig zu werden.“ Das gelte übrigens insbesondere für das Liebesleben. „Ich kann nur raten, offen über Sexualität zu sprechen – auch noch mit 70! Es ist ein Trugschluss zu glauben, Sex sei nur bis 40 schön und danach ist der Ofen aus. Es gibt so viele kreative Möglichkeiten.“

Immer mehr Paare feiern Eiserne Hochzeit

Das Paar, das Stephanie Katerle unlängst gecoacht hat, hat sich übrigens eine zweite Chance gegeben. In ein paar Jahren könnten die beiden dafür sogar Post vom Bundespräsidenten bekommen. Dieser gratuliert nämlich ab der Eisernen Hochzeit, also mindestens 65. Ehejahren. 1996 gingen gerade einmal 2.175 Briefe raus; 2018 waren es hingegen fast 16.000. Die steigende Lebenserwartung ist eben nicht nur eine Herausforderung für die Ehe, sondern auch eine Chance für ein langes gemeinsames Leben.