„Jeder muss seinen eigenen Stil fürs Alter finden“
Die Fotografin Gabriele Kostas hat für die Ausstellung „Europas neue Alte“ mehrere Senioren porträtiert. Gemeinsam mit Ausstellungsmacherin Irene Ziehe spricht sie über veränderte Altersbilder.
Gabriele Kostas ist Musikerin, Kunsthistorikerin und Fotografin. Als Bücher sind beispielsweise „Das Haus der Kempowskis“ und „A Guide To The Gardens Of Venice“ erschienen.
Frau Kostas, laut „Alterssurvey“ bewerten vier von fünf Deutschen über 70 ihre Lebenssituation positiv. Die Lebenserwartung steigt, die Angst vor dem Älterwerden sinkt. Konnten Sie das auf Ihrer Reise durch ganz Europa auch feststellen?
GARBIELE KOSTAS: Ja. Wir haben die Teilnehmer danach befragt, wie zufrieden sie in welchem Alter waren. Bei den sich daraus ergebenden Kurven durch den Verlauf des Lebens haben wir festgestellt, dass die Zufriedenheit im Alter im Schnitt sogar noch wächst. Und bei der Dokumentation des Alltags mit der Kamera konnte ich beobachten, dass alte Menschen dann besonders zufrieden sind, wenn sie akzeptieren, dass sie keine 40 mehr sind – und wenn sie in irgendeiner Form am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Jeder muss dabei seinen eigenen Stil fürs Alter finden.
Konnten Sie Unterschiede in den besuchten Ländern – von Schweden bis Spanien – feststellen?
KOSTAS: Mein Eindruck war, vereinfacht gesagt: In Südeuropa sind die Älteren stärker in familiäre Strukturen eingebunden. Auch im Norden hat die Familie oberste Priorität bei den Älteren, der Verbund ist aber nicht so eng. Das führt zu einem unkonventionelleren Lebensstil der Älteren im Norden: Ein gutes Beispiel ist der 73-jährige Ingemar aus Schweden, der sich mit 64 Jahren ein Motorrad zugelegt hat. Er lebt allein, seine Freundin wohnt 250 Kilometer entfernt. Aber auch die Menschen im Süden sind alle in irgendeiner Weise aktiv. Manolis auf Kreta zum Beispiel arbeitet noch mit 69 in seiner Taverne.
„Immer mehr Menschen sind nach ihrem Arbeitsleben auf sich gestellt. Dann muss man etwas tun, um nicht zu vereinsamen.“
Auch in Deutschland arbeiten laut Alterssurvey immer mehr Menschen freiwillig jenseits der 65. Hält das die Menschen länger fit?
KOSTAS: Auf jeden Fall. Es gibt die Großfamilie nicht mehr. Das heißt: Immer mehr Menschen sind nach ihrem Arbeitsleben auf sich gestellt. Dann muss man etwas tun, um nicht zu vereinsamen. Viele Menschen arbeiten mit verminderter Stundenzahl weiter, andere engagieren sich ehrenamtlich. In beiden Fällen stärkt die Beschäftigung das Selbstwertgefühl, die Menschen fühlen sich jünger.
Frau Ziehe, Sie haben in Ihren Fragebögen den Porträtierten die Frage gestellt, ab wann sie jemanden als alt empfinden. Wie sind die Antworten ausgefallen?
IRENE ZIEHE: Die erste Erkenntnis: Niemand empfindet sich selbst als alt. Die zweite: Alt sein verbinden die Menschen nicht mit einer Jahreszahl. Jemand ist alt, sagen viele, wenn er nicht mehr neugierig ist, oder wenn er moderne Techniken nicht mehr nutzt. Eine Antwort, die mir besonders gefallen hat: „Ich empfinde mich nicht als alt und nicht als dick – so lange ich nicht in den Spiegel gucke.“
Mit dem Slogan „70 ist das neue 60“ wird das Gefühl der neuen Alten heute ausgedrückt. Stimmt das?
ZIEHE: Ja! Und 80 ist das neue 70. Durch die Medizin, bessere Ernährung und höheres Gesundheitsbewusstsein steigt nicht nur die Lebenserwartung, es hat sich auch die Fitness enorm verbessert. Dadurch sehen die Menschen wesentlich jünger aus als die Generationen zuvor. Gerade bei Frauen kann man den Wandel besonders gut beobachten. Schauen Sie sich mal Fotos einer Silberhochzeit aus den 40er-Jahren an, da sehen die rund 50-jährigen Frauen aus wie heute 70-jährige. Auch die Art sich zu kleiden, hat sich verändert. Das bedingt sich eben gegenseitig: Ich kleide mich anders, weil ich mich fit fühle und ich wirke jugendlicher, weil ich mich moderner kleide.
Frau Kostas, ab wann empfinden Sie jemanden als alt?
KOSTAS: Ein Dame sagte mir: „Warum sind Sie nicht vor 30 Jahren gekommen, als ich noch jung und hübsch war?“ Damals war sie 67, ein Alter, vor dem wir normalerweise schon zurückschrecken. Eines habe ich bei diesem Projekt gelernt: Wir müssen uns von festgefahrenen Altersbildern verabschieden. Das authentische Leben und Lebensgefühl der Älteren ist ganz anders als die Jüngeren denken – hat aber genauso wenig mit den strahlenden Bildern der „Neuen Alten“ in der Werbung und Zeitschriften zu tun.