Wissen für Experten

20.01.2020

7 ver­blüf­fende Fak­ten zur Lebens­er­war­tung

Was hat der Puls mit der Lebensdauer zu tun? Wieso haben kleine Mädchen bessere Überlebenschancen als Jungen? Mit diesem Wissen mausern Sie sich zum Experten.

© Konstantin Yuganov / Getty Images/iStockphoto

Sie wird noch groß – und vermutlich auch sehr alt. Im Schnitt knapp 93 Jahre können junge Mädchen in Deutschland erwarten.

1. Die „Normalbiografie“ gibt es erst seit rund 100 Jahren

Ende des 19. Jahrhunderts war der Tod für die Menschen ein ständiger Begleiter – in allen Altersgruppen. Fast jedes dritte Kind starb schon vor dem fünften Lebensjahr, jungen Frauen drohte oft der Tod im Kindbett. Die schwere Arbeit führte schon früh zu körperlichem Verschleiß und Tod. Zudem rafften Diphterie und Tuberkulose – Folge der schlechten hygienischen Zustände – die Menschen frühzeitig dahin. Die Konsequenz: Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen lag um 1870 lediglich bei rund 40 Jahren.

Erst durch den Anstieg der Lebenserwartung im Verlauf des 20. Jahrhunderts ist zum ersten Mal das entstanden, was Soziologen „sichere Lebenszeit“ nennen. Die drei Phasen Kindheit und Jugend, Erwachsenenalter sowie Ruhestand sind heute fast jedem gewiss, und damit die Möglichkeit, das Dasein auf Erden langfristig zu planen. Das Leben ist im Vergleich zu dem unserer Vorfahren aber nicht nur länger und kalkulierbarer geworden, es schlägt auch in einem langsameren Takt. Sich mit der Ausbildung oder der Familienplanung vielleicht etwas mehr Zeit zu lassen ist ein Luxus, den sich die Masse unserer Vorfahren nicht leisten konnte.

2. Noch nie konnten wir so lange Oma und Opa sein

Ohne sie ist eine Familie unvorstellbar: die Großeltern – Spielkamerad, Freund und Ratgeber für die Enkelkinder in einem. Doch so selbstverständlich Oma und Opa für uns sind, noch im 19. Jahrhundert war ein paralleles Leben von drei oder gar vier Generationen wegen der geringen Lebenserwartung keinesfalls sicher. Selbst wenn Enkelkinder ihre Großeltern erlebten, so war die gemeinsame Zeit eher von kurzer Dauer.

Anders heute: 30, 40 oder gar 50 Jahre können Enkel und Großeltern miteinander verbringen, obwohl Frauen inzwischen deutlich später Kinder bekommen als vor zwei, drei Generationen. Die steigende Lebenserwartung gleicht das aus. Zum Vergleich: Von den Frauen des Jahrgangs 1900 wurde nicht einmal ein Drittel 80 Jahre alt, vom Jahrgang 1950 werden das hingegen schon mehr als zwei Drittel schaffen. Und von den 2000 Geborenen können laut Prognose des Statistischen Bundesamtes sogar fast neun von zehn Frauen die Marke knacken.

3. Silberhochzeit ist selbst bei später Heirat noch drin

Liebe, vor allem eine neue, hat für die Deutschen immer weniger etwas mit dem Alter zu tun. Der hohen Lebenserwartung sei Dank. Denn warum nicht noch einmal vor den Traualtar treten, wenn selbst kurz vor der Rente noch Jahrzehnte an Lebenszeit warten? So denken offensichtlich mehr und mehr Wiederverliebte: Gegenüber 1990 hat sich die Zahl der Eheschließungen, bei der mindestens eine Hälfte des Brautpaares über 60 war, verdreifacht. Viele dieser fast 32.000 Paare werden sogar zur Silberhochzeit laden. Eheleute, die beide zur Hochzeit 60 Jahre alt sind, haben immerhin eine Wahrscheinlichkeit von gut 30 Prozent, dieses Jubiläum zu erleben. Zumindest aus medizinischer Sicht.

4. Puls bestimmt die Lebenserwartung

Je kleiner das Säugetier, desto höher der Puls. Und desto eher der Tod.

Rund eine Milliarde Mal kann das Herz der meisten Säugetiere schlagen – dann ist Schluss. Das zumindest besagt die Lebensratentheorie (engl.: Rate-of-Living-Theory). Nach ihr ist das Verhältnis zwischen Lebenserwartung und Ruhepuls unter allen Säugetieren ungefähr gleich (siehe Grafik). Und die Unterschiede in der Lebenszeit resultieren letzlich nur aus dem unterschiedlichen Puls, der bei kleineren Tieren naturgemäß höher ist als bei größeren, weil sie zur Aufrechterhaltung wichtiger Körperfunktionen in der gleichen Zeit mehr Energie aufbringen müssen.

Bis zum Mittelalter fiel auch der Mensch noch in dieses Raster: Analog zum Ruhepuls eines gesunden Erwachsenen von 70 erreichte er damals im Schnitt ein Alter von 28 Jahren. Erst durch bessere Lebensbedingungen und vor allem durch die medizinischen Fortschritte entkoppelte sich das Ganze in den folgenden Jahrhunderten mehr und mehr. Heute kann ein gesundes Menschenherz rund drei Milliarden Mal schlagen. Neugeborene Jungen in Deutschland haben eine Lebenserwartung von rund 90 Jahren, Mädchen können sogar knapp drei Jahre mehr erwarten.

5. Wir haben mehr gesunde Lebensjahre

Mit dem Alter mehren sich die Wehwehchen und Gebrechen. Das ist der Lauf der Natur. Nur: Gravierende gesundheitliche Probleme treffen die Menschen heute viel später als früher. Die Zahl der gesunden Lebensjahre steigt sogar stärker als die Lebenserwartung insgesamt, wie eine Auswertung des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung bestätigt. Zwischen 2005 und 2013 gewannen demnach 65-jährige Frauen 2,8 gesunde Lebensjahre hinzu, ihre verbleibende Lebenserwartung stieg in der Zeit jedoch „nur“ um 0,6 Jahre. Bei den Männern waren es immerhin 2,3 Jahre gesunde Lebensjahre mehr – bei einem Anstieg der Lebenserwartung von einem Jahr.

Mit anderen Worten: Wir verbringen einen größeren Teil unseres ohnehin längeren Lebens bei relativ guter Gesundheit. Die Vorstellung, der Zugewinn an Jahren verlängere nur die Phase des Siechtums, ist völlig falsch. Zwar nehmen zweifellos Altersleiden wie Demenzerkrankungen deutlich zu. Aber eben deshalb, weil viele Menschen sehr alt werden.

6. Überlebensvorteil der Frauen schon im Kindesalter

Dass Frauen länger leben als Männer, ist weithin bekannt. Rund vier Jahre beträgt die Differenz, für die es mehrere Erklärungen gibt: Frauen leben einerseits gesünder, sie sind aber auch genetisch begünstigt. Ihr Überlebensvorteil zeigt sich jedenfalls schon im Säuglingsalter. So ist das Sterberisiko von Jungen im ersten Lebensjahr um 24 Prozent höher. Die Ursache ist ihre Statur: größere Körper, größere Köpfe. Dies führt oft zu Komplikationen bei der Geburt und anschließend zu einer stärkeren Anfälligkeit für Infekte.

Doch selbst bei ungeborenen Kinder lassen sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen. So sind in Krisenzeiten die Überlebenschancen weiblicher Föten besser. Forscher stellten fest, dass unter extremen Umweltbedingungen wie Krieg, Hunger oder Naturkatastrophen das Geschlechterverhältnis bei Neugeborenen zugunsten der Mädchen kippt. Dies zeigte sich beispielsweise nach dem Erdbeben 1995 im japanischen Kobe. Forscher vermuten, dass es bei stark gestressten Frauen zu einer Zunahme von Fehlgeburten männlicher Föten kommt und halten das Phänomen für eine Überlebensstrategie der Spezies Mensch. Aus evolutionärer Sicht sei es in Krisenzeiten sinnvoll, schwache männliche Föten abzustoßen, die sich im Zweifelsfall schlechter vermehren können als ein schwaches Mädchen. So kann die Frau schnell wieder schwanger werden und ein Mädchen oder starken Jungen gebären.

7. Alterung lässt sich aufhalten

Manche Forscher betrachten das Altern nur als eine Krankheit, die sich wie jede andere behandeln lässt. Mit neuen Möglichkeiten aus der Stammzellenforschung und Gentechnik wollen die Anti-Aging-Jünger die Ursachen der Alterung angehen, um den Prozess aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen. Mit ersten Erfolgen: Genetiker der Universität von Kalifornien machten kürzlich Schlagzeilen, weil sie die biologische Uhr von Männern nicht nur gestoppt, sondern durch Hormone und das Diabetesmedikament Metformin um 1,5 Jahre zurückgedreht haben wollen.

Wie weit der medizinische Fortschritt die Altersgrenze hinauszuschieben vermag, lässt sich nicht abschätzen. Experimente mit Tieren deuten jedenfalls darauf hin, dass da noch viel Luft nach oben ist. Schon heute lässt sich durch bestimmte Wirkstoffe die Lebensdauer von Fadenwürmern verzehnfachen. Greise Mäuse, denen körpereigene Eiweißstoffe verabreicht werden, können sich fast wieder wie Jungtiere bewegen. Solche Ergebnisse sind aber stets auch mit Vorsicht zu genießen: Nicht jeder Erfolg bei Tieren lässt sich ohne Weiteres auf den Menschen übertragen.