Personalisierte Ernährung

19.01.2021

Bestim­men die Gene unse­ren Spei­se­plan?

Die Nutrigenetik befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Ernährung und Erbanlagen. Das Versprechen: Individuell zugeschnittene Kost – auf Basis von Gentests.

© AYDINOZON / Getty Images/iStockphoto

Für Anhänger der Nutrigenetik ist klar: Die DNA verrät, welche Nahrungsmittel am besten zu jedem passen.

Der Mensch ist, was er isst. Wer sich dauerhaft ungesund ernährt, bekommt irgendwann die Quittung dafür. Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und damit verbunden eine geringere Lebensqualität und Lebenserwartung, sind beispielsweise typische Folgen von zu viel Fett, Zucker und Salz.

Für Anhänger der Nutrigenetik geht es jedoch nicht nur darum, was man isst, sondern auch wer es isst. Sie glauben fest an einen Zusammenhang zwischen Erbanlagen und Nahrung. Die Grundidee: So wie die Gene entscheiden, welche Haar- oder Augenfarbe wir haben, so beeinflussen sie auch, wie der Körper Lebensmittel verträgt, wie er Fette, Kohlehydrate oder Eiweiße aufnimmt, verstoffwechselt oder speichert. Und eben auch, wie Enzyme arbeiten und was mit den zugeführten Nährstoffen geschieht.

Von Salz bis Laktose – jeder reagiert anders

Salz zum Beispiel ist dafür bekannt, dass es – übermäßig konsumiert – den Blutdruck erhöht. Allerdings ist nur gut jeder Dritte genetisch bedingt „salzsensitiv“. Dem Rest kann das Würzmittel kaum etwas anhaben. Auch der Vitamin C-Bedarf scheint angeboren. 28 Prozent der Bevölkerung brauchen wesentlich mehr davon als der Durchschnitt. Oder Laktose. Durch die Jahrtausende lange Milchviehzucht hat sich evolutionär eine Genmutation entwickelt, die heute rund 85 Prozent der Europäer in sich tragen. Ihr Körper kann auch im Erwachsenenalter noch problemlos Milchzucker verarbeiten, während es bei den restlichen 15 Prozent Durchfall und Blähungen auslöst.

Und nicht nur Unverträglichkeiten, sondern auch ernährungsbedingte Krankheiten sind im genetischen Bauplan verankert. So besitzt rund ein Drittel aller Menschen in Europa und den USA die Genvariante TCF7L2. Ein Risikogen, das die Wahrscheinlichkeit für Typ 2-Diabetes um etwa 40 Prozent erhöhen kann. Einen großen Anteil an Überwicht hat hingegen das Gen FTO. Es sorgt dafür, dass Betroffene öfter Hunger haben und Fett vornehmlich gespeichert statt verbrannt wird. Für Nutrigenetiker gibt es daher nicht einen idealen Speiseplan. Um gesund zu bleiben, brauche es stattdessen eine personalisierte Ernährung. Im Internet werben zahlreiche Startups für eine maßgeschneiderte Kost – auf Basis einer Genanalyse.

Nutzen genbasierter Ernährung noch unklar

Noch aber sind solche Angebote nach Meinung von Astrid Donalies mit Vorsicht zu genießen. „Bislang fehlen verlässliche wissenschaftliche Belege, dass eine genbasierte Ernährung wirklich vorteilhaft ist. Es wird zwar daran geforscht, aber noch stehen wir ganz am Anfang“, sagt die Wissenschaftlerin von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Gentests beruhten nur auf Wahrscheinlichkeiten und könnten lediglich vage Empfehlungen liefern. Zudem sei die menschliche DNA viel zu komplex, als dass einzelne Gene ausreichen, um Rückschlüsse auf den gesamten Stoffwechsel ziehen zu können, so Donalies. 

Auch hängt der Energie- und Nährstoffbedarf von weiteren Faktoren ab: von Alter und Geschlecht; davon, welchen Beruf wir ausüben und wie wir unsere Freizeit gestalten. Übergewicht allein auf die Gene zu schieben – nein, das sei in den meisten Fällen nicht logisch, betont Donalies. Eindrücklich beweisen das die Amischen, eine Glaubensgemeinschaft aus den USA. Auch unter ihnen gibt es Mitglieder, die das Übergewicht-Gen FTO in sich tragen. Dicke gibt es jedoch kaum. Forscher vermuten, dass ihr „unmoderner“ Lebensstil – Feldarbeit statt Bürojob, zu Fuß gehen statt Autofahren – den genetischen Einfluss neutralisiert.

Größeres Bewusstsein für das Thema Ernährung

Trotz des noch unbestätigten Nutzens personalisierter Ernährung kann aber auch DGE-Vertreterin Donalies dem Thema Nutrigenetik etwas abgewinnen. „Ein Vorteil ist, dass sich die Menschen überhaupt einmal mit ihrer Ernährung beschäftigen. Das könnte der erste Schritt hin zu einer Verhaltensänderung sein“, sagt Donalies. So gab in einer Umfrage der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft fast die Hälfte der Teilnehmer an, sich wohl gesünder zu ernähren, wenn sie personalisierte Tipps bekämen.

Dass dies tatsächlich in einem gewissen Maße die Motivation erhöht, zeigt die Studie „Food4me“. Probanden, die nicht nur allgemeine, sondern individuelle, genbasierte Empfehlungen für ihre Ernährung bekamen, hielten sich strenger daran – und verloren am Ende mehr Gewicht.