Molekularbiologie

07.09.2020

For­scher ent­de­cken vier Alte­rungs­ty­pen

Wissenschaftler glauben vorhersagen zu können, wie wir altern. Sie wollen so den Alterungsprozess verlangsamen und Krankheiten bekämpfen, bevor sie entstehen.

© RgStudio / Getty Images

Forscher wollen vier Alterungstypen entdeckt haben. Bei einigen Menschen gerät der Stoffwechsel durcheinander, andere sind anfälliger für immunbedingte  Krankheiten oder bekommen eher Probleme mit Leber oder Nieren.

Wer regelmäßig durch Zeitschriften blättert, wird die diversen Tests kennen, durch die man mehr über sich erfahren kann. Charaktertyp, Karrieretyp, Farbtyp, Datingtyp: Für nahezu jede Lebenslage lässt sich damit herausfinden, in welche Kategorie man vermeintlich gehört.

Geht es nach der Wissenschaft, werden wir in Zukunft auch unseren persönlichen Alterungstyp ermitteln können. Denn wie beim Charakter oder Dating gilt auch für das Älterwerden: Die Menschen sind nicht alle gleich. Manche sind mit 65 noch so fit wie mit 40. Andere dagegen kämpfen bereits vor der Rente mit vielen gesundheitlichen Problemen.

Alterung vollzieht sich nach bestimmten Mustern

Warum Menschen so unterschiedlich altern, damit beschäftigen sich Forscher rund um den Globus. Unter ihnen auch Michael Snyder, Genetiker von der Stanford University School of Medicine. Seine These: Wie wir altern, welche Organe und Körperfunktionen zuerst von Verschleiß betroffen sind, lässt sich vorhersagen. Denn lange bevor die Haut Falten wirft und das Haar ergraut, weisen die kleinsten Bestandteile des Menschen – Gene, Zellen, Proteine und Bakterien – bereits den Weg. Belegen konnten Snyder und sein Team das anhand einer aufsehenerregenden Studie.

Dafür untersuchten sie über mehrere Jahre hinweg die biochemischen Eigenschaften von 106 Frauen und Männern zwischen 29 und 75 Jahren. Die Forscher analysierten in regelmäßigen Abständen Blut-, Stuhl- und Speichelproben, sequenzierten Gene und betrachteten unter dem Mikroskop Bakterien, die in der Nase und den Eingeweiden siedeln. Am Ende konnten sie jedem Probanden ein einzigartiges molekularbiologisches Profil zuordnen, das auf über 600 „Markern des Alterns“ beruht und das sich im Laufe der Zeit auf charakteristische Weise verändert.

Beim einen macht das „Getriebe“ eher schlapp, beim anderen die „Karosserie“

Diese Merkmale, zum Beispiel die Präsenz und Aktivität von Stoffwechselprodukten, Mikroorganismen und Molekülen wie Fette und Proteine, geben Auskunft über den Zustand bestimmter Organe oder Körpervorgänge und lassen Vorhersagen zu, wie gut oder schlecht diese in Zukunft funktionieren werden. „Es ist ähnlich wie bei einem Auto“, sagt Snyder. Mit der Zeit werden alle Teile älter, aber in der Regel geben nicht alle gleichzeitig den Geist auf. Ein Fahrzeug-Modell ist dafür bekannt, dass zuerst das Getriebe hakt. Bei einem anderen dagegen rostet vor allem die Karosserie.

Für den Menschen konnten die Wissenschaftler vier Alterungstypen identifizieren. Da wären zum einen die Stoffwechsel-Alternden. Bei ihnen stockt im Laufe des Lebens die Art und Weise, wie der Körper Substanzen ansammelt und wieder abbaut. Häufig steigt dabei die Konzentration des Hämoglobins A1c. Dieses spielt bei der Regulation des Blutzuckers eine entscheidende Rolle und ist ein Marker für die Entstehung von Typ 2-Diabetes. 

Wissen über Alterungstyp erlaubt gezielte Prävention

Bei Immun-Alternden kommt es hingegen zu einer Fehlfunktion der Abwehrkräfte. Ihr Blut weist vermehrt Entzündungsmarker auf, sodass sie anfälliger sind für immunbedingte Krankheiten wie Herzinfarkt oder bestimmte Krebsarten. Alterungstyp 3 und 4 betreffen bestimmte Organe: Menschen, die vor allem hepatisch altern, bekommen später wahrscheinlich Probleme mit ihrer Leber; nephrotisch Alternde müssen mit Erkrankungen der Nieren rechnen.

Eine solche Einordnung ist für Michael Snyder aber weit mehr als ein unterhaltsamer Test à la „Welcher Farb-Typ sind Sie?“ „Zu wissen, welcher Alterungstyp man ist, kann helfen, individuelle Risikofaktoren für die Gesundheit zu ermitteln“, so der Wissenschaftler. „Vor allem zeigt unsere Studie aber, dass es möglich ist, die Art und Weise, wie wir altern, zum Besseren zu verändern.“ So könnten Immun-Alternde Entzündungen gezielt vorbeugen, indem sie regelmäßig Sport treiben. Stoffwechsel-Alternde könnten ihre Ernährung umstellen, um das Diabetes-Risiko zu senken. Menschen, deren Nieren gefährdet sind, sollten stets ausreichend trinken. Wer Leberschäden zu befürchten hat, sollte auf Alkohol verzichten und seine Leberdichte regelmäßig checken lassen.

Forscher fahnden nach weiteren Alterungstypen

In zukünftigen Studien wollen die Forscher noch weitere Alterungstypen identifizieren. Zum Beispiel solche, die das Gehirn oder das Herz betreffen. „Ich stelle mir eine Welt vor, in der jeder seinen Alterungstypen bestimmen lassen und somit schon beim kleinsten Anzeichen für Alterung eingreifen kann. Das würde sicher dem ein oder anderen frühzeitig einen Tritt in den Hintern geben“, sagt Snyder. So ließen sich bereits in jungen Jahren durch medizinische Maßnahmen oder eine Änderung des Lebensstils die Vorboten des Alters aufhalten und die Weichen für ein langes und vor allem gesundes Leben stellen.

Bei einigen Testpersonen brachte das Wissen über den persönlichen Alterungstyp übrigens schon beachtliche Erfolge. Sie ernährten sich im Studienzeitraum gesünder, reduzierten ihr Gewicht und bewegten sich mehr. Der Effekt: Die Marker, die mit ihrem Alterungstyp zusammenhängen, nahmen ab und mit ihnen die altersbedingten Veränderungen. Einfach gesagt: Die Probanden wurden biologisch jünger.