Langzeitaufenthalt im All

15.10.2018

Kann ein Welt­raum-Trip das Leben ver­län­gern?

US-Astronaut Scott Kelly kehrt 2016 nach einem Jahr im All biologisch verjüngt auf die Erde zurück. Wirkt die Schwerelosigkeit auch für den Deutschen Alexander Gerst als Frischzellenkur?

© picture alliance / ZUMA Press

Alexander Gerst testet den Einsatz eines Sextanten auf ISS auf die Verwendbarkeit für die Notfall-Navigation auf langen Reisen ins All. 

Das war knapp. Ein technischer Fehler an ihrer Sojus-Rakete zwang die Besatzung in der vergangenen Woche zur Notlandung nur kurz nach dem Start. Die beiden Raumfahrer – ein Russe und ein Amerikaner – sollten das Team der ISS um den deutschen Kommandanten Alexander Gerst verstärken. Und deren Ablösung vorbereiten.

Nun müssen Gerst und seine beiden Kollegen möglicherweise länger im All bleiben als bis Mitte Dezember – wie ursprünglich geplant. Auch wenn abschließend noch nichts entschieden ist: Für die Besatzung der Internationalen Raumstation ISS wäre ein längerer Weltraum-Trip kein Problem. Sagen die beteiligten Weltraumagenturen Nasa (USA) und Esa (Europa).

Doch wie wirkt sich ein längerer Aufenthalt im All auf den Menschen aus? Kann ein Weltraum-Trip das Leben verlängern? Diese Vermutung legt zumindest eine Studie nah, die die Nasa 2017 veröffentlichte. Die Weltraumagentur wollte wissen, wie sich Langzeitaufenthalte im All auf die Gesundheit auswirken. Dafür vermaß die Nasa die Körper von eineiigen und damit genetisch identischen Zwillingen: Der eine – Scott Kelly – war von März 2015 bis März 2016 als Crewmitglied auf der ISS. Sein Bruder Mark, ebenfalls Astronaut, blieb in dieser Zeit am Boden.

Die Forscher sind verblüfft

Das Ergebnis des Vorher-Nachher-Vergleichs scheint zunächst sensationell. Bei Scott Kelly haben sich nach dem Weltraumflug die Telomere verlängert. Sie befinden sich am Ende von Chromosomen, gelten als Indikator für den Alterungsprozess und werden im Lauf des Lebens – kürzer. Nicht so bei Scott Kelly, die Telomere in seinem Körper sind länger als die seines Bruders Mark.

Nicht nur Susan Bailey, die an der Colorado State University die Untersuchungen durchführt, ist verblüfft. „Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir erwartet haben“, kommentiert die Strahlenbiologin damals ihre Untersuchungsergebnisse. Denn bis dahin gelten Weltraumaufenthalte nicht als lebensverlängernd. Eine Reihe von Apollo-Astronauten etwa, die in Missionen zum Mond geflogen waren, verstarben sogar relativ früh an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wie James Irwin (Apollo 15), den mit 61 ein tödliches Herzversagen ereilte. Oder Ronald Evans (Apollo 17), der mit 56 Jahren einen Herzinfarkt nicht überlebte. Forscher an der Florida State University führen das frühe Ableben in einer Studie auf die erhöhte kosmische Strahlung zurück, der die Mondfahrer ausgesetzt gewesen seien.

Kosmische Strahlung ist eines der größten Probleme

Viel Zeit zur Verblüffung hat das Forscherteam um Susan Bailey allerdings nicht. Bereits nach recht kurzer Zeit sind Scott Kellys Telomere wieder auf Normalmaß geschrumpft. Die Ursache – für beide Phänomene – ist bisher nicht geklärt. Doch auch wenn sich die körperlichen Veränderungen beim US-Astronauten zementiert hätten, für Hanns-Christian Gunga, Professor an der Berliner Charité wäre das noch kein ausreichender Beleg gewesen. „Aus einem Einzelexperiment auf generelle Veränderungen der Menschheit zu schließen, ist meines Erachtens wissenschaftlich ein wenig gewagt“, sagt der Weltraum-Mediziner, der unter anderem den deutschen Astronauten Alexander Gerst während seiner derzeitigen Mission betreut. Die Ergebnisse solcher Zwillingsstudien bedürften weiterer wissenschaftlicher Untermauerung in größeren Kollektiven.

Allerdings hält Gunga auch die gegenteilige Theorie – Raumfahrer hätten strahlungsbedingt ein erhöhtes Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben – für nicht belegt. Zwar ist die Strahlenbelastung außerhalb des schützenden Magnetfeldes der Erde um ein Vielfaches höher. Die maximale Strahlendosis für die Lebenszeit eines Erwachsenen liegt bei etwa 250 Millisievert. Schon nach einem Jahr auf dem Mond hätte man ungefähr die Hälfte eingesammelt. Und auch auf der ISS bekommen Astronauten im gleichen Zeitraum zwischen 80 und 100 Millisievert ab, obwohl sie auf einer deutlich niedrigeren Umlaufbahn um die Erde kreist.

Insofern sei es naheliegend, dass eine erhöhte Strahlung eine besondere Gefahr darstellt, sagt Gunga. Als Wissenschaftler finde er die Beobachtungen der Kollegen an der Florida State University deshalb natürlich interessant. Dennoch: „Aus der Studie mit den Mondfahrern der Apollo-Missionen kann man vielleicht einen Trend ablesen, aber nicht mehr.“ Zahlenmäßig sei die Untersuchung zu dünn.

Schon Kurztrips verändern den Körper

Gut erforscht hingegen und deshalb auch unstrittig: Je länger ein Mensch im All ist, desto mehr passt sich sein Körper der veränderten Umgebung an. Bereits kurze Flüge zwischen sieben und 15 Tagen haben Auswirkungen zum Beispiel auf die Gleichgewichtsorgane, den Wasser- und Elektrolythaushalt, die Blutbildung und teilweise auch schon auf den Herz-Kreislauf und den Muskelapparat. Deshalb trainieren Gerst und seine Kollegen auf der ISS regelmäßig etwa ihre Muskulatur.

Dabei brauchen sie das Workout nicht für ihre Zeit in der Schwerelosigkeit. Vielmehr halten sie sich für ihre Rückkehr auf die Erde fit – ganz egal, ob diese nun einen Monat früher oder später stattfindet.