Fitness- und Koordinationstraining

16.08.2019

Lasst uns tan­zen!

Es macht Spaß und ist überaus gesund: Tanzen tut dem Körper so gut wie kaum eine andere Sportart. Auch das Hirn profitiert von rhythmischer Bewegung.

© suteishi / Getty Images

Tanzen bereitet nicht nur viel Vergnügen, es trainiert auch Körper und Geist. 

Wenn Sarah „Paddy“ Jones tanzt, bleibt selbst Dieter Bohlen der Mund offen stehen. Zu schnellen lateinamerikanischen Rhythmen fegte die Britin 2015 über die Bühne der Castingshow „Das Supertalent“. So gelenkig, dass der versammelte Saal vom Glauben abfiel, als sie ihr Alter verriet: 81 Jahre! Am Ende reichte es zwar nur für Platz 9; im Guinnessbuch der Rekorde ist Jones hingegen Spitzenreiterin: „Älteste akrobatische Salsa-Tänzerin der Welt“ darf sie sich nennen.

Die mittlerweile 85-Jährige mag mit ihrem Alter aus der Reihe tanzen: Betrachtet man jedoch die Wirkung von Walzer, Rumba oder Foxtrott, lässt sich sagen: Jones ist so fit, gerade weil sie ihre Pirouetten dreht. „Tanzen ist hochkomplex und mit keiner anderen Sportart vergleichbar“, sagt Denise Temme, Professorin an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Denn beim Tanz gibt es kein Entweder-oder, sondern er vereint alle positiven gesundheitlichen Effekte von Bewegung.“

Tanzen ist Kraft-, Hirn- und Ausdauertraining in einem

Wie beim Schwimmen wird die Ausdauer gesteigert und damit das Herz-Kreislauf-System gestärkt. Sprünge, Hebefiguren und Drehungen kommen Kraftübungen im Fitnessstudio gleich. Der ständige Wechsel zwischen langsamen und schnellen Phasen, also zwischen Belastung und Erholung, ist dem Intervalltraining eines Langstreckenläufers nicht unähnlich. Zudem halten die speziellen Bewegungen – von federnd bis hüpfend – die Faszien in Schuss, jene Bindegewebshäute, die unsere Muskeln umgeben.

Auch das Gehirn profitiert: Im Rahmen der Einstein Aging Study, einer Langzeitstudie aus den USA, untersuchten Wissenschaftler, wie zum Beispiel Hobbys den geistigen Abbau im Alter beeinflussen. Ergebnis: Nichts wirkt besser als Paartanz. Durch keine andere Freizeitbeschäftigung bilden sich mehr neue Nervenzellen und werden Kurz- und Langzeitgedächtnis besser trainiert. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer Demenz: Während Aktivitäten wie Kreuzworträtsel, Lesen oder Schwimmen das Risiko nur um 29 bis 47 Prozent senken, kommt das Tanzen auf beachtliche 76 Prozent. „Dance gegen Demenz“, fordert deshalb auch Fernseharzt Eckart von Hirschhausen.

Bessere Koordination schützt vor Stürzen

Besonders bei der Vermeidung von Stürzen im Alltag – ein Hauptgrund für Pflegebedürftigkeit im Alter und häufigste Ursache für einen Unfalltod bei Menschen über 65 – könnte die Bewegung zu Musik eine große Rolle spielen. „Tanzen lebt vom schnellen Richtungswechsel und schult Gehirn sowie Innenohr, mit Lageveränderungen umzugehen. Im Ernstfall kann man sich so besser abfangen“, sagt Sportwissenschaftlerin Temme.

Tanzen beugt aber nicht nur Verletzungen durch Stürze oder Krankheiten vor, es lindert auch Leiden. An der Washington University of Medicine ließ man beispielsweise Parkinson-Patienten einen Tangokurs absolvieren. Nach zehn Wochen hatte sich ihr Zittern vermindert und das Gangbild war durch neue Impulse an Motorik und Koordination wieder etwas geschmeidiger. „Für mich stellen solche Erkenntnisse konventionelle Reha- und Präventionsprogramme komplett infrage“, sagt Tanzexpertin Temme.

Tanzen macht Spaß und spornt an

Dazu kommt: Tanzen ist abwechslungreich und macht mehr Spaß als einsame Übungen im Fitnessraum. „Tanz kennt keine Monotonie. Sogar Rock ’n ‚ Roll kann man dem Alter entsprechend dosieren“, sagt Temme. Daher gebe es auch kein Alterslimit, um mit dem Tanzen (wieder) anzufangen. Selbst „Salsa-Granny“ Sarah Jones legte sich ihre Tanzschuhe erst mit Ende 60 zu. „Viele Leute denken: ‚Ich bin alt. Also muss ich mich jetzt hinsetzen und fernsehen.‘ Das ist Unsinn, man muss aktiv bleiben und Spaß haben“, sagt sie in einem Interview mit der Daily Mail.

Für Sportwissenschaftlerin Temme ist letzteres vielleicht sogar das Wichtigste. Musik und Rhythmus wecken Emotionen und schütten Glückshormone aus. Und das Vergnügen wiederum lenkt von der körperlichen Anstrengung ab, sie wird nicht als belastend empfunden. „Verordnet der Arzt Gymnastik, fällt es oft schwer, sich aufzuraffen. Und das Risiko wieder aufzuhören, ist größer. Beim Tanzen hingegen hat man ein motivierendes Ziel: Die Choreografie muss am Ende des Tanzkurses sitzen.“