Aktionsplan

28.03.2021

Wie die EU den Krebs besie­gen will

Millionen Europäer sterben jährlich an Krebs. Viele Fälle wären vermeidbar. Die EU mobilisiert nun Milliarden, um die Krankheit zurückzudrängen.

© magical_light / Getty Images/iStockphoto

Die EU intensiviert den Kampf gegen Krebs. Mit zusätzlichem Geld unterstützt sie auch die Entwicklung neuer Impfstoffe.

Krebs ist auf dem Vormarsch: in Deutschland wie auch im Rest Europas. 2020 starben 1,3 Millionen EU-Bürger an einer der rund 100 Krebsarten. Damit sind bösartige Tumore für ein Viertel aller Todesfälle verantwortlich und stehen hinter Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf Platz 2 der häufigsten Todesursachen. 

Damit die Krankheit nicht irgendwann das Ranking anführt, zieht die EU-Kommission nun die Notbremse. Mit einem neuen Aktionsplan will sie den Krebs zurückdrängen und zugleich das starke Gefälle zwischen den Mitgliedsstaaten abbauen. Denn während in Schweden 68 Prozent der Betroffenen die Erkrankung überstehen, sind es in Bulgarien aufgrund der mangelnden Gesundheitsversorgung nur 38 Prozent.

Früherkennung soll verbessert werden  

Rund 4 Milliarden Euro stellt die EU in den nächsten Jahren bereit, unter anderem für eine bessere Früherkennung. Bis 2025 sollen 90 Prozent aller dafür infrage kommenden EU-Bürger an Screening-Programmen zur frühzeitigen Diagnose von Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs teilnehmen können. Weil bei Krebs jeder Tag zählt. Wird zum Beispiel Brustkrebs in Stadium 1 entdeckt, liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit für die nächsten fünf Jahre bei 87 Prozent. Bei Darmkrebs sind es sogar 90 Prozent.  

„Hat der Tumor noch nicht gestreut, ist er heute gut behandelbar, ja sogar heilbar“, sagt Prof. Dr. Martin Reck, Chefarzt für Onkologie an der LungenClinic Großhansdorf. „Aber leider wird das Ganze oft zu spät erkannt.“ Ginge es nach Reck, sollte es gerade auch für Lungenkrebs regelmäßig Checkups geben. Es ist immerhin die Krebsart, die jährlich die meisten Leben kostet.

Raucherquote auf fünf Prozent senken

Die EU setzt im Kampf gegen Lungenkrebs dagegen stärker auf Prävention. Ihr Ziel: Europa bis 2040 nahezu rauchfrei bekommen. Durch höhere Tabaksteuern, mehr „Zigaretten-Sperrzonen“ im öffentlichen Raum und ein noch schärferes Werbeverbot soll die Raucherquote von aktuell 25 auf fünf Prozent gesenkt werden. Es wäre ein riesiger Erfolg, weil der giftige Qualm nicht nur Tumore in der Lunge verursacht, sondern an der Entstehung fast aller Krebsarten beteiligt ist. 

Mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen will die EU auch anderen Risikofaktoren für Krebs die Stirn bieten: ungesunde Ernährung, Übergewicht und Alkoholkonsum. Experten schätzen, dass sich 40 Prozent aller Fälle allein durch einen gesunden Lebensstil vermeiden ließen. Mädchen und junge Frauen sollen zudem besser vor Gebärmutterhalskrebs geschützt werden. Durch eine nahezu flächendeckende Impfung gegen den humanen Papillomvirus, den Hauptverursacher der Erkrankung. 

Hoffnungsträger personalisierte Medizin

Für Onkologe Reck sind es genau diese neuen Möglichkeiten, die ihn motivieren. Operation, Bestrahlung und Chemotherapie seien heute nämlich nicht mehr die einzigen Wege, um Betroffenen zu helfen. „Wir haben in den letzten 15 Jahren enorme Fortschritte in der Therapie gemacht. Damit lässt sich nicht nur die Lebenszeit verlängern, sondern auch die Lebensqualität verbessern.“

Diesen Fortschritt will die EU beschleunigen. In ganz Europa sollen Krebszentren ausgebaut und vernetzt, sollen Gelder in die Erforschung innovativer Behandlungsformen investieren werden. Vor allem in personalisierte Medizin, die individuell auf den Patienten und die Beschaffenheit seines Tumors abgestimmt ist.  

Überlebenschancen haben sich verbessert

Auch in Recks Klinik kommen neue Medikamente zum Einsatz, die dem von Krebs geschwächten Immunsystem wieder auf die Sprünge hilft. Bei bestimmten Patienten konnte damit die Fünf-Jahres-Überlebensrate von fünf auf 30 Prozent erhöht werden. Für den Mediziner ein großartiges Signal. Genauso wie die neuen mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19, deren Entwicklung eigentlich aus der Krebsforschung kommt. Das Ziel: Ein für jeden Patienten maßgeschneiderter Impfstoff, der dem Immunsystem beibringt, „böse“ Zellen zu erkennen, und ihm so die passgenaue Immunantwort entlockt. In circa fünf Jahren könnten solche „Piekser“ gegen Krebs erstmals zugelassen werden.

Reck hofft, dass immer mehr Menschen die Sprechzimmer nach der Diagnose vorsichtig optimistisch verlassen. „Auch wenn wir oft keine Heilung versprechen können, so sind wir doch immer besser dazu in der Lage, Krebs in eine chronische, nicht fortschreitende Krankheit zu verwandeln.“ Und auch ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es vorangeht: 1980 bedeutete Krebs für zwei Drittel der Betroffenen das sichere Todesurteil. Mittlerweile kann mehr als die Hälfte auf Heilung hoffen. Im Durchschnitt erreichen deutsche Krebspatienten heute das 74. Lebensjahr – und werden damit vier Jahre älter als noch vor ein paar Jahrzehnten.