Gesundheitspolitik

23.01.2024

Wie sich der hohe Zucker­kon­sum sen­ken ließe

Zu viel Zucker gilt mit als Ursache für Fettleibigkeit und etliche Erkrankungen. Immer mehr Länder wollen den Konsum drosseln – mit Sondersteuern und Abgaben. Deutschland verzichtet bislang darauf, dabei brächte es enorme gesundheitliche Gewinne.

© Unsplash / Robert Anderson

Der Zuckerkonsum der Deutschen ist nach Ansicht von Wissenschaftlern zu hoch. 

Jedes dritte Kind in Deutschland gibt sein Taschengeld am liebsten für Süßes aus. Nach der Schule ab an den Kiosk und Cola oder Gummibärchen kaufen – hierzulande ganz normal und legal. Anders sieht es in den mexikanischen Bundesstaaten Oaxaca und Tabasco aus. Seit 2020 ist dort die Abgabe von zuckerhaltigen Getränken und hochkalorischen Snacks an Minderjährige per Gesetz verboten. Limonade wird damit, was die Schädlichkeit betrifft, auf einer Stufe mit Alkohol und Zigaretten gestellt. 

Hauptargument für diesen drastischen Schritt: 73 Prozent der Mexikaner gelten als übergewichtig. Experten wie Gesundheitssekretär Hugo López-Gatell machen dafür in erster Linie das „Gift in Flaschen“ verantwortlich. Gemeint sind Softdrinks, von denen jeder Einwohner pro Jahr durchschnittlich 163 Liter trinkt. So viel wie sonst nirgends auf der Welt. 

Der Mensch ist nicht für so viel Zucker gemacht 

Tatsächlich sind die Erfrischungsgetränke wahre „Zuckerbomben“. Allein in einem halben Liter Cola stecken 53 Gramm Zucker – und damit mehr als doppelt so viel wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) maximal pro Tag empfiehlt (25 Gramm). Welche negativen Auswirkungen ein zu hoher Zuckerkonsum haben kann, darüber herrscht in der Wissenschaft längst Konsens. Angefangen bei vorzeitiger Hautalterung, Schlafstörungen und Verdauungsproblemen bis hin zu Übergewicht und Adipositas sowie deren Folgeleiden wie Krebs, kardiovaskuläre Erkrankungen und vor allem Typ 2-Diabetes. 

„Zu viel Zucker ist immer ungesund“, sagt Peter von Philipsborn, Forscher am Public Health-Lehrstuhl der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Jedoch gibt es deutliche Hinweise, dass Zucker in flüssiger Form ganz besonders problematisch ist.“ Der Mediziner begründet das unter anderem evolutionär: Den längsten Teil seiner Evolutionsgeschichte habe der Menschen eigentlich nur Wasser getrunken. Die mit extra Zucker versetzte Softdrinks seien hingegen ein relativ neues Phänomen. „Sich an den Kaloriengehalt von süßen Getränken gewöhnen und mit einem adäquaten Sättigungsgefühl reagieren – diese Fähigkeit konnte unser Körper in so kurzer Zeit nicht entwickeln.“ Dass uns beim Durstlöschen übermäßig viel Zucker die Kehle hinunterfließt, bleibt so oft unbemerkt. 

Preis hoch, Konsum runter 

Ob das partielle Verbot einen Effekt hat und der Zuckerkonsum in Mexiko sinkt, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. Eine andere Maßnahme erweist sich indes bereits heute als wirkungsvoll: die Softdrink-Steuer. Neben dem mittelamerikanischen Land haben weltweit rund 100 Staaten diese Sonderabgabe auf zuckerhaltige Getränke eingeführt. In Mexiko bedeutet das: Seit 2014 kostet das „Zuckerwasser“ zehn Prozent mehr, denn pro Liter wird ein Extra-Peso (ca. 0,50 Cent) draufgeschlagen. In der Folge reduzierten sich die Verkaufszahlen süßer Getränke um zehn Prozent, wohingegen jene für Mineralwasser stiegen. „Die Studienlage ist hier ziemlich eindeutig“, erklärt von Philipsborn. „Man beobachtet eine sogenannte Preiselastizität von rund -1. Das heißt, werden Softdrinks um ein Prozent teurer, geht der Konsum um rund ein Prozent zurück.“ 

Wie stark der Griff in den Geldbeutel den Erwerb schädlicher Produkte beeinflusst, zeigt sich an Australien. Mittlerweile zahlt man dort für eine Schachtel Zigaretten rund 23 Euro. Die Raucherquote ist in der Folge von 24 Prozent Anfang der 1990er auf rund zehn Prozent gesunken. Bis 2040, so die Prognose, wird das Land seine Lungenkrebsraten zum Teil halbiert haben. Für Experte von Philipsborn könnte man daher auch bei Softdrinks noch eine Schippe drauflegen: „Im Sinne der Gesundheit empfiehlt die WHO einen Softdrink-Steuersatz von mindestens 20 Prozent. Hieran könnte sich auch Deutschland orientieren – oder aber am britischen Modell folgen.“

Bis zu 320.000 weniger Diabetes- und Herz-Erkrankte 

Im Vereinigten Königreich konzentriert man sich nämlich nicht auf den Verbraucher, sondern auf die Getränkeindustrie. So wurde auf der Insel 2018 eine gestaffelte Herstellerabgabe eingeführt, deren Höhe sich am beigemengten Zucker orientiert. Bei einem Zuckerzusatz von fünf bis acht Gramm pro Milliliter werden 18 Pence (21 Cent) fällig; bei allen Werten darüber müssen 24 Pence (27 Cent) an den Staat gezahlt werden. Um die Mehrkosten zu vermeiden, senkten die Firmen den Zuckergehalt in ihren Produkten daraufhin um durchschnittlich 30 Prozent. Das hatte Folgen für das Sortiment Supermarktregal: 2015 beinhaltete fast die Hälfte aller Limonaden mehr als fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter – heute sind es nur noch 15 Prozent. Erste Studien zeigen bereits, dass das Risiko für Fettleibigkeit vor allem bei Kindern sinkt und die Zahl der Zahnextraktionen aufgrund von Karies signifikant zurückgeht. 

In Deutschland indes gibt es eine derartige Zuckersteuer bisher nicht. Und das, obwohl auch hierzulande gut 60 Prozent der Bürger übergewichtig oder adipös sind, der Softdrink-Konsum mit fast 122 Litern pro Jahr nur knapp unter dem von Wasser liegt und die Mehrheit der Deutschen laut Umfragen nichts gegen eine solche Sondersteuer hätte. Was in den nächsten 20 Jahren passieren könnte, wenn sich die Getränke-Rezepturen nach britischem Vorbild verändern würden, verdeutlichen neue Berechnungen der TU München und Universität Liverpool. So ließen sich den Forschern zufolge bis 2043 über 192.000 Lebensjahre gewinnen, fast 250.000 Fälle von Typ 2-Diabetes und rund 70.000 Fälle von koronaren Herzerkrankungen verhindern oder hinauszögern. Hinzu kommen eingesparte Gesundheitsausgaben von bis zu 16 Milliarden Euro. Denn weniger Zucker bedeutet auf lange Sicht weniger Kosten, die von der gesamten Gesellschaft getragen werden müssen. Sei es für Behandlungen, Krankheitstage oder Arbeitsunfähigkeit. 

Ebenso wichtig: gesunde Ernährung und mehr Bewegung für alle

Dennoch werden Steuern oder Verbote allein das Problem nicht lösen, das weiß auch von Philipsborn. „Was wir brauchen, ist ein umfassendes Maßnahmenpaket.“ Dazu gehört unter anderem eine verbesserte Kita- und Schulverpflegung. „Sinnvoll wären auch Steuervergünstigungen für gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte sowie eine effektive Beschränkung von an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Produkte.“ Eine solche sieht auch die kürzlich vom Landwirtschaftsministerium vorgestellte neue Ernährungsstrategie vor. Noch weiter geht Großbritannien – dort sind seit 2023 Lockangebote à la „2 Limos zum Preis von 1“ untersagt.

Die Mehreinnahmen aus der Softdrink-Steuer fließen dort zudem in die Förderung des Schulsports. Ähnlich wie in Island, wo der Staat die Einkünfte aus Zucker- und Alkoholsteuer in die sogenannten „Frístundakorts“ („Freizeitgutscheine“) investiert. Zahlreiche Kinder gehen damit nach der Schule nun nahezu kostenlos zum Fußballspielen, Reiten oder Tanzen – und seltener Richtung Kiosk zum Cola-Kaufen.