Studieren im Alter

23.05.2022

„Das Stu­dien­le­ben ein­fach erle­ben und genie­ßen“

Immer mehr Rentner nehmen noch ein Gast- oder Vollzeitstudium auf. Was sie dazu motiviert und welche Fächer sie auswählen, verrät Bildungsexperte Bernd Schmitt.

Herr Schmitt, warum entscheiden sich Senioren nach einem arbeitsreichen Leben für ein Studium?

Bernd Schmitt: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen haben sie ein Interesse an einem Gebiet, was sie schon immer begeistert hat. Zum anderen möchten sie Verpasstes nachholen. Das trifft vor allem auf diese Personengruppe zu: katholisch, weiblich, aus der Arbeiterschaft. Diesen Frauen war es etwa in den 1960er-Jahren meist nicht vergönnt, ein Studium zu absolvieren. Und als dritter Grund bleibt das Thema Lifestyle. Senioren möchten auch noch dazugehören, sich austauschen, in die Mensa gehen und das Studienleben einfach erleben und genießen.

Wenn Sie sagen, dass es vor allem Frauen früher nicht gestattet war zu studieren, können Sie bestätigen, dass sich etwas mehr Frauen als Männer einschreiben?

Schmitt: Ja, absolut. Früher hieß es dann oft: „Was muss da denn eine höhere Bildung her?“ Und zum anderen besitzen Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer, deshalb ist der Anteil der weiblichen Studierenden etwas größer.

In der Corona-Zeit hatten die Unis ihren Lehrbetrieb auf Online-Kurse umgestellt. Gleichzeitig schrieben sich weniger Senioren ein. Kamen sie mit den digitalen Lehrangeboten nicht so zurecht?

Schmitt: Das vermuten Sie ganz richtig. Die Hürde beginnt schon mit der Hardware. Viele Ältere besitzen meist noch einen Desktop-Computer und wurden bei der digitalen Wende übergangen. Das muss verändert werden, um auch Ältere bei der Digitalisierung mitzunehmen. Die jungen Leute gelten gemeinhin als Digital Natives und sind technisch bestens ausgestattet.

Gibt es belegbare Zahlen zum Thema Studieren im Alter?

Schmitt: Das Statistische Bundesamt erfasst nur die Gasthörer. Wir als AVDS besitzen eigene Zahlen, die aber leider auch nicht für eine Studie geeignet sind. Wir gehen von etwa 60.000 Studierenden aus, die wir in drei Kategorien einteilen: Zum einen in die Gasthörer, die von Abiturienten reichen, die sich erst orientieren möchten, bis hin zum 79-Jährigen. Wichtig ist, dass das Gasthörer-Studium nicht ans Abitur gebunden ist und somit locker gehandhabt wird, denn ein Abschluss wird nicht angestrebt. Dann gibt es noch das Zertifikatsstudium oder auch häufig Seniorenstudium genannt, das vier bis fünf Semester dauert. Außer an der Universität in München, wo es etwas starrer geregelt ist, kann man das Zertifikatsstudium ohne Abitur absolvieren. Und als letztes gibt es das Vollzeitstudium. Hier müssen sich Interessierte an die Vorgaben der jeweiligen Universität halten. Wenn dort beispielsweise vorgegeben wird, dass man ein Abitur benötigt, muss man dieses nachweisen. Zudem nimmt man dort an allen Prüfungen teil. Eine Altersgrenze gibt es meist nicht, außer beispielsweise bei Zahnmedizin.

Ein Großteil der Gasthörer an den Unis ist über 60 Jahre alt. Wegen Corona gingen die Anmeldungen zuletzt zurück.

Welche Studienform wählen die meisten Senioren?

Schmitt: Sie entscheiden sich überwiegend für das Gasthörerstudium, denn es handelt sich um ein nachberufliches Studium und deshalb wird in der Regel kein Abschluss angestrebt.

Was sind die Voraussetzungen, um ein Studium aufzunehmen?

Schmitt: Formal ist es wichtig zu wissen, dass es keinen Seniorenrabatt gibt. Es gelten genau dieselben Bedingungen wie für die Jüngeren. Zudem sollte man kritikfähig sein und wissen, dass man an der Universität gepflegt diskutiert. Das läuft nicht so ab wie bei Social Media, wo jeder einem seine Meinung aufzwängt und recht haben will. Im universitären Rahmen ist es viel gesitteter. Deshalb sollte man vorab die akademischen Umgangsformen kennen.

Wenn Sie sagen, dass es keinen Seniorenrabatt gibt, mit welchen Kosten ist ein Studium für Ältere verbunden?

Schmitt: Pro Semester ist es an jeder Universität verschieden und wird anders gehandhabt. Meist richtet es sich nach den gewünschten Semesterwochenstunden. Pro Semester halten sich die Kosten aber im Rahmen und reichen von 60 bis 300 Euro.

Welche Studiengänge sind bei den Spätentschlossenen besonders beliebt?

Schmitt: Eine klare Tendenz liegt bei den geisteswissenschaftlichen Fächern wie Theologie, Archäologie, Kunstgeschichte und Psychologie. Dadurch, dass es sich um ein nachberufliches Studium handelt, liegen die Interessen verstärkt in diesen Bereichen, denn einen neuen Beruf möchten die älteren Studierenden in der Regel nicht ergreifen.

Wie funktioniert die Kommunikation zwischen den jüngeren und den älteren Studierenden?

Schmitt: Beide Generationen müssen damit leben, dass sie an der Universität gemeinsam lernen (lacht). Früher hieß es, dass die Älteren den Jüngeren den Platz wegnehmen, aber diese Zeiten sind vorbei. Man begegnet sich auf Augenhöhe und geht aufeinander zu. Gerade auf der fachlichen Ebene entsteht häufig ein spannender Austausch.

Wenn ich jetzt als Älterer Lust bekommen habe, mich einzuschreiben, wo erhalte ich weiterführende Informationen?

Schmitt: Da muss ich jetzt etwas Werbung machen (lacht). Wir vom AVDS haben gerade eine neue Auflage des Studienführers herausgebracht. In diesem finden Interessierte wertvolle Tipps rund um das Universitätsleben und die Voraussetzungen für eine Bewerbung an der gewünschten Universität. Der Studienführer ist nach den einzelnen Bundesländern geordnet und hilft bei der Orientierung, denn zu Beginn stehen die Studienanfänger meist vor dem falschen Gebäude oder dem falschen Raum. Auch die verschiedenen Veranstaltungsformen wie Seminar oder Vorlesung werden erläutert. Bestellen kann man den Studienführer auf unserer Webseite.