Altersbild

08.06.2022

Ein neuer Blick aufs Alter

Die Einstellung zum Alter verbessert sich. Das liegt an neuen Vorbildern, aber auch an der besseren Fitness der Menschen. Frei von Klischees ist das Altersbild aber nicht.

© Fotografia Inc / Getty Images

Einmal Biker, immer Biker: Die Vielfalt in den Lebensstilen spiegelt sich im Alter wider. Die neuen Rollenbilder verändern auch unsere Haltung zum Älterwerden. 

Wenn Senioren in den Medien auftauchen, dann oft als rüstige, moderne Menschen. Als solche, die auf Berge steigen, in Rockerkluft auf dem Motorrad sitzen oder ausgedehnte Fahrradtouren machen. Nicht beige und gebrechlich, sondern bunt und agil erscheint die dritte Lebensphase immer häufiger in der Berichterstattung, wie auch die Wissenschaft bestätigt: „Tatsächlich zeigen verschiedene Studien, dass ältere Menschen in den Medien positiver dargestellt werden“, so Verena Klusmann, Gesundheitspsychologin an der Universität Konstanz.

Und dieses neue Bild färbt auch auf Jüngere ab. So wie bei der 28-jährigen Alexa: In ihrer Vorstellung ist das Alter eine aktive Zeit, in der sie selbstverständlich die gleichen Dinge tun will wie heute. „Ich hoffe, dass ich weiterhin regelmäßig zu meinem Pferd gehen kann. Außerdem möchte ich, so gut ich kann, bei der Stallarbeit mithelfen.“ Große Angst vor Einschränkungen hat Alexa nicht, auch weil Ältere ihrer Meinung nach stark vom technischen Fortschritt profitieren werden: „Ich sehe bereits bei meinen Großeltern, wie technikaffin sie sind. Ich denke, dass das in meiner Generation noch stärker ausgeprägt sein wird und ich im Alter Smart Home und neue Mobilitätskonzepte nutzen werde.“

Altersbild hat sich verbessert

Alexas Ansicht ist kein Einzelfall. In der gesamten Gesellschaft hat sich der Blick auf das Alter verändert. Die strickende Oma im Schaukelstuhl? Der Opa mit Kreuzworträtsel in der Ofenecke? Klischees, die nicht zuletzt von vielen aktiven, älteren Prominenten zertrümmert werden. Wer würde sofort darauf kommen, dass Inga Humpe, Sängerin der Band 2Raumwohnung, 66 Jahre alt ist, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth 67, Sänger Marius Müller-Westernhagen 73 und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann 74. 

Das neue Verständnis vom Älterwerden zeigt sich auch in einem verbesserten Selbstbild der Generation Mitte, für die der Ruhestand nicht mehr allzu fern ist. „Der deutsche Alterssurvey zeigt, dass auch die heute 50-Jährigen ihr Alter positiver sehen, als es noch vor zehn oder 20 Jahren in dieser Altersgruppe der Fall war“, sagt Klusmann, die gemeinsam mit Anna Kornadt von der Universität Luxemburg das deutschlandweite Forschungsnetzwerk „Altersbilder“ mit internationalen Partnern leitet. Ohnehin hat sich die Definition vom Alter verändert. Galten Menschen früher mit Renteneintritt automatisch als alt, so haben solch starre Altersgrenzen an Bedeutung verloren. Wissenschaftler machen das Alter seit jeher an anderen Dingen fest: „Aspekte wie unser Gesundheitszustand und unser Gesundheitsverhalten sind viel wichtiger“, sagt Klusmann. 

Und biologisch sind die über 60-Jährigen heute viel jünger als vor Jahrzehnten, und sie haben auch mehr Lebenszeit vor sich. „Noch in den 1960er-Jahren war die Verabschiedung in den wohlverdienten Ruhestand oft gleichbedeutend mit der Verabschiedung auf die Zielgerade. Bei einer Lebenserwartung von knapp 70 blieb da nach dem letzten Arbeitstag nicht mehr viel Zeit übrig“, sagt Bernhard Meyer, emeritierter Professor für Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Heute warte nach Ende des Berufslebens noch eine Phase von 15 bis 20 Jahren, für die Meyer den Begriff „Alterspubertät“ geprägt hat. „Ähnlich wie in der Jugend ist jetzt wieder Zeit für neue, aufregende Dinge, für die im Arbeitsleben vielleicht wenig Platz war: Fremdsprachen lernen, in den Sportverein eintreten, im Chor Gitarre spielen, sich engagieren, eine neue Liebe finden.“

Altersstereotype existieren noch immer

Dennoch ist das Alter immer noch mit entwicklungshemmenden Normen und Stereotypen verbunden, die es weiter aufzuweichen gilt, wie Klusmann betont. „Wir sollten Altern als lebenslange Entwicklung auffassen und anerkennen, dass dies ein höchst individueller Prozess ist, der nicht in Schablonen gepresst werden sollte.“ Starre Grenzen, wie etwa das gesetzliche Renteneintrittsalter, stünden offeneren Lebensmodellen bis ins hohe Alter entgegen.

Es geht aber auch darum, Älteren noch mehr Möglichkeiten zu bieten, damit pauschale Zuordnungen nicht mehr greifen können. Helfen würden beispielsweise individuellere Angebote, die das Umschulen und Weiterbilden im Alter einfacher gestalten und gleichzeitig für mehr Flexibilität im Leben sorgen. Eine berufliche Auszeit mit Mitte 30 für eine längere Weltreise? Warum nicht, wenn sich die Zeit später problemlos nachholen lässt. „Wenn Pläne gleich angegangen und nicht erst in den Ruhestand verschoben werden müssten, könnte stattdessen im Alter etwas länger gearbeitet werden“, sagt Klusmann. Da die statistische Lebenserwartung weiter steige, könnten neue Spielräume geschaffen und an die aktuelle Lebenssituation angepasst werden, schlägt die Wissenschaftlerin vor.

Dialog zwischen den Generationen fördern

Auch generationenübergreifende Angebote helfen, Vorurteile abzubauen: „Wir müssen viel über das Älterwerden und unsere Vorstellungen davon sprechen und uns austauschen“, sagt Klusmann. Die Kommunikation müsse auf Augenhöhe stattfinden und wertschätzend sein. „Beide Generationen müssen sich gefordert und ernst genommen fühlen. Ansonsten können durch die Gespräche Klischees und Stereotype sogar noch verstärkt werden“, gibt Klusmann zu Bedenken. Deshalb sei es notwendig, sich bereits in jungen Jahren mit dem Alter zu befassen. Nur so könne das Bewusstsein für Altersdiskriminierung, der häufigsten unbemerkten Diskriminierungsform, geschärft und für das Thema sensibilisiert werden.

Auch Alexa möchte später noch Ansprechpartnerin für Jüngere sein. Nicht nur weil sie den Austausch mit Menschen schätzt, sondern auch, weil sie sich noch nützlich fühlen möchte. Und dieser Wunsch eint wohl alle Menschen – unabhängig vom Alter.