Lebenserwartung der Nationalmannschaft

13.06.2021

Was Jogis Truppe frü­he­ren EM-Hel­den vor­aus hat

Ob die deutsche Elf bei der ersten transkontinentalen Fußball-Europameisterschaft so erfolgreich sein wird wie die Teams von 1972, 1980 oder 1996, ist ungewiss. In einem Punkt übertrumpft die aktuelle Mannschaft aber die früheren Sieger.

© Stefan Matzke / sampics / picture alliance; Sven Simon / picture-alliance; GDV-Montage

Was der Neuer dem Breitner voraus hat: Statistisch lebt er fast ein Jahrzehnt länger. Dafür kennt Paul Breitner noch die Art von Fußball, in der Abwehrspieler Liberos hießen.

Der Fußball hat sich seit den aktiven Zeiten von Paul Breitner – unter anderem Europameister von 1972 – stark verändert. Schneller ist das Spiel geworden, körperlicher und taktisch variabler. Libero und Vorstopper sind heutzutage Begriffe, die allenfalls noch in der Kreisliga Bayerwald benutzt werden.

Auch das Leben der Profis ist heute ein anderes. Ihre Gehälter haben ein paar Nullen mehr, ihre Frauen sind öfter Models statt Friseusen, und was ihnen an Haarpracht fehlt, gleichen sie mit Tattoos aus. Und auch wenn die Karrieren heutzutage nicht unbedingt länger dauern, so können die Spieler immerhin mehr Turniere vor dem Fernseher mitverfolgen. Denn sie leben deutlich länger als die Fußballer Anfang der 1970er.

Aktueller Kader wird statistisch rund 87 Jahre alt

So hat der deutsche EM-Kader – mit einem Durchschnittsalter von gut 27 Jahren eines der ältesten Teams in der Ära von Bundestrainer Joachim Löw – eine statistische Lebenserwartung von rund 87 Jahren. Die Titelträger von 1972 zählten zu Turnierbeginn im Schnitt 25 Lenze, ihre Lebenserwartung betrug laut Generationensterbetafel des Statistischen Bundesamtes 78,4 Jahre. Die aktuelle Nationalmannschaft hat rechnerisch also fast neun Jahre länger zu leben als die Helden von damals.

Der Vergleich zeigt, wie stark die Lebenserwartung in fast fünf Jahrzehnten gestiegen ist. Die Entwicklung lässt sich auch gut anhand der weiteren Siegerteams von 1980 und 1996 nachzeichnen. Die Europameister von 1980 um Spielmacher Bernd Schuster hatten zu Turnierbeginn eine Lebenserwartung von 79,5 Jahren. 1996 waren es für das Team um Jürgen Klinsmann durchschnittlich 82,5 Jahre – und damit immer noch knapp fünf Jahre weniger als für den aktuellen EM-Kader.

Frühere Nationalspieler starben eher als üblich

Doch der rechnerische Durchschnitt hat seine Tücken, das gilt gerade für Fußball-Nationalspieler. Rein statistisch lag beispielsweise die Lebenserwartung der ersten deutschen Nationalmannschaft im Jahr 1908 bei schätzungsweise 65 Jahren – auch unter Berücksichtigung der Kriegsgefahren. Tatsächlich wurden die Spieler – soweit ihre Todesdaten bekannt sind – im Durchschnitt nur 60 Jahre alt.

Kein ungewöhnliches Phänomen: Auch für die späteren Auswahlkicker ertönte der Schlusspfiff im Leben deutlich früher als üblich, wie Oliver Kuß von der Martin-Luther-Universität in einer Studie herausfand. Er verglich für den Zeitraum von 1908 bis 2006 die Lebenserwartung früherer Nationalspieler mit der der Gesamtbevölkerung. Ergebnis: Die Kicker – Achtung: Wortspiel – bissen knapp zwei Jahre früher ins Gras.

Großes Mitleid mit dem aktuellen Kader muss man allerdings nicht haben: Denn wie Kuß‘ Studie auch zeigt, verschwinden die Unterschiede zum Ende des Beobachtungszeitraums. Die Lebenserwartung aktueller Nationalspieler liegt also auf dem Niveau der Gesamtbevölkerung. Schön, wenn auch ihr Spiel das Niveau des 72er-Kaders erreichen würde. Und Deutschland in Frankreich zum vierten Mal Europameister würde.