Gefährliche Temperaturen

06.04.2022

Warum der Kli­ma­wan­del zu mehr Toten führt

Extrem heiße und trockene Phasen wird es künftig öfter geben. Die Zahl der hitzebedingten Todesfälle dürfte deshalb auch in Deutschland steigen.

© Xurzon / Getty Images

Als Folge des Klimawandels werden extreme Hitzeperioden in Deutschland zunehmen. Gerade für ältere und gesundheitlich angeschlagene Menschen sind sie eine große Belastung. 

Ein Sommer, wie er früher niemals war. So oder so ähnlich wird der Sommer 2018 vielen Menschen hierzulande in Erinnerung bleiben. Mancherorts mit Sonnenschein von April bis Oktober und damit länger, als Rudi Carrell es je zu singen gewagt hätte. Und so war es am Ende auch kaum überraschend, dass 2018 als wärmstes und sonnenreichstes Jahr in die Rekordbücher einging.

Die Kehrseite solch langer Hitze- und Trockenperioden: Sie endet für immer mehr Menschen tödlich, insbesondere für ältere. „Grundsätzlich verfügen Menschen über eine gute Anpassungsfähigkeit“, sagt Andreas Matzarakis vom Deutschen Wetterdienst (DWD). „Allerdings sind Klimaextreme wie länger anhaltende Hitze für Ältere mit Diabetes-, Herzkreislauf- oder Atemwegserkrankungen schon eine starke Belastung.“

Extreme Wärme setzt vor allem Älteren zu

Matzarakis, der beim DWD das Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung leitet, stützt die Aussage einer 2018 veröffentlichten Studie internationaler Wissenschaftler unter Beteiligung der UN: Der Klimawandel gefährdet die Gesundheit von Millionen Menschen und sorgt für mehr Todesfälle weltweit. Der Untersuchung zufolge waren 2017 rund 157 Millionen mehr gefährdete Personen einer Hitzewelle ausgesetzt als noch im Jahr 2000.

Während die steigenden Temperaturen in ärmeren Ländern die Gesundheitsrisiken für ganze Gesellschaften erhöhen, sind es in Industriestaaten wie Deutschland vor allem die älteren Stadtbewohner, die unter Hitzewellen leiden. Nicht zuletzt deshalb, weil sich der Temperatur-Anstieg in Städten besonders bemerkbar macht. So ging nach Angaben der Forscher die Temperatur in dicht besiedelten Regionen in den vergangenen 30 Jahren um durchschnittlich 0,8 Grad Celsius nach oben. Weltweit fällt der Anstieg mit 0,3 Grad deutlich niedriger aus.

300 Tote mehr an heißen Tagen

Gerade in alternden Gesellschaften wie unserer wird der Klimawandel damit zu einem tödlichen Faktor. Nicolas Ziebarth, Wirtschaftswissenschaftler an der Cornell University in den USA, hat ermittelt, dass an einem Hitzetag mit Temperaturen jenseits der 30 Grad bei uns knapp 300 Menschen mehr als üblich sterben.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Karlsson an der Uni Duisburg-Essen hat Ziebarth betrachtet, wie sich besonders heiße und besonders kalte Tage auf Krankenhauseinlieferungen und Sterberate in Deutschland auswirken. Eines der Ergebnisse der Untersuchung, die den Zeitraum von 1999 bis 2008 umfasst: An heißen Tagen liegt die Sterbequote um rund zehn Prozent über dem Durchschnitt.

Achtmal mehr Tote wegen Flüssigkeitsmangel 

Laut Statistischem Bundesamt führten Schäden durch Hitze und Sonnenlicht zwischen 2000 und 2020 im Durchschnitt zu 19 Todesfällen jährlich, im heißen Jahr 2015 waren es gar 60 Fälle. Diese Zahl bildet das Problem aber nur ungenügend ab, da sie sich auf reine Hitzeschäden beschränkt, etwa einen Hitzschlag. Schon etwas klarer wird das Bild, wenn man die Todesfälle durch Flüssigkeitsmangel mit hinzurechnet – eine typische Begleiterscheinung der Hitze. Ihre Zahl lag 2020 bei knapp 3.300 – und damit mehr als achtmal so hoch wie 20 Jahre zuvor. Da die Bevölkerung immer älter wird, ist der Anstieg teilweise aber auch altersbedingt, wie die Statistiker hinweisen.

Bei aller Harmonie über die tödlichen Effekte klimawandelbedingter Änderungen ist sich die Wissenschaft bei der Bewertung uneins. So gehen beispielsweise Ziebarth und Karlsson davon aus, dass viele der Hitzeopfer aufgrund ihres schlechten gesundheitlichen Zustands ohnehin bald verstorben wären – Hitze die Sterbefälle also lediglich vorziehe. Andere Stimmen widersprechen dieser Theorie. Ein vorgezogener Tod sei nur in einem Drittel der Fälle zu belegen, sagt etwa DWD-Experte Matzarakis. „Absolut gesehen gibt es definitiv einen Anstieg der hitzebedingten Todesfälle.“

Hitzewellen werden häufiger, länger, intensiver

Laut einer Studie im Auftrag des Versicherungsverbandes GDV hat sich die Zahl der Tage mit Temperaturen von über 30 Grad hierzulande seit den 1950er-Jahren verdreifacht, von durchschnittlich 3,6 auf 11,1 pro Jahr. Und das Hitzeproblem wird sich noch verschärfen: Bei ungebremstem Treibhausgasausstoß muss zwischen 2031 und 2060 mit einer weiteren Zunahme um fünf bis zehn heiße Tage im Jahr in Norddeutschland, und zehn bis zwanzig Tage in Süddeutschland gerechnet werden.

Das wird sich auch auf die Todeszahlen auswirken: Von einer deutlichen Zunahme der hitzebedingten Sterbefälle geht auch eine Prognose aus, für die internationale Wissenschaftler Daten aus 20 Ländern ausgewertet haben. Künftige Hitzewellen würden bedingt durch den Klimawandel häufiger, intensiver und länger ausfallen, so eine der Schlussfolgerungen. Im Zeitraum von 2031 bis 2080 werde sich die Hitzesterblichkeit in westeuropäischen Ländern wie Großbritannien, Finnland oder Italien mehr als verdreifachen beziehungsweise verdoppeln. 

Lebenserwartung wird negativ beeinflusst

Eine der Schwierigkeiten beim Blick in die Zukunft: Niemand kann absehen, wie sehr und wie schnell sich Gesellschaften an das höhere Risiko anpassen. „Seit dem Hitzesommer 2003, der allein in Westeuropa 60.000 zusätzliche Tote kostete, hat sich in der Wahrnehmung des Problems viel getan“, sagt Matzarakis. Es gebe heutzutage Hitzewarnsysteme, telefonische Beratung, organisierte Nachbarschaftshilfe und viele weitere Maßnahmen, mit denen gefährdete Menschen im konkreten Fall unterstützt würden. Allein der DWD habe im vergangenen Jahr rund 6000 Hitzewarnungen ausgegeben. Dennoch: „Man kann schon davon ausgehen, dass durch den Klimawandel unsere Lebenserwartung und generell die Gesundheit negativ beeinflusst werden wird“, sagt Matzarakis.

Der vergangene Sommer wird diesbezüglich übrigens nicht als Extrembeispiel taugen. Die Zahl der Sterbefälle werde zwar höher liegen als üblich, vermutet Matzarakis. Die Schönwetter-Periode habe aber mit April schon sehr früh im Jahr begonnen. „Die Menschen hatten damit ausreichend Zeit, sich auf einen langen heißen Sommer einzustellen.“